Im Schweinfurter Amtsgericht durfte ich zum zweiten Mal als Zuschauer von einem mir noch vor kurzem Unbekannten teilnehmen. Es ging um den Sachverhalt, über den angeblichen Leiter einer nicht erlaubten Versammlung in der „Coronazeit“ zu richten.
Meine Geschichte fängt damit an, dass ich selbst die Coronamaßnahmen für deutlich übertrieben hielt und auf Demos ging. Ich wurde selbst mal zu Unrecht eingekesselt, sollte ca. 800 Euro Strafe zahlen, jedoch wurde mein Fall wie bei den Anderen fallen gelassen. Wahrscheinlich deshalb, weil die Würzburger Bereitschaftspolizei anscheinend vergessen hatte, die Versammlung nach Vorschrift aufzulösen. In Wahrheit kamen sie in voller Montur (kugelsichere Westen usw.) in Bussen nach einer halbe Stunde Fahrt in Schweinfurt an, um die Teilnehmer einer angeblichen unerlaubten Versammlung auf frischer Tat zu erwischen. Woher sie wussten, wo diese genau sich aufhielten, fragen Sie sich vielleicht. Na es gab augenscheinlich Zivilpolizisten, die sich sonntags und montags auf den Straßen Schweinfurts aufhielten, um sich Menschenansammlungen verdeckt anzuschließen und somit die genauen Standortdaten durchgeben zu können. Mit Blaulicht jedoch ohne Sirene kamen die kleinen Polizeibusse von beiden Seiten zeitgleich angerauscht, die Polizisten sprangen raus und kesselten jeden in der Straße ein, egal ob diese Person zu der vermuteten Versammlung gehörte oder eben mal mit dem Hund Gassi ging oder zum Einkaufen zum nächstgelegenen Rewe am Ende der Straße wollte. Es gab kein Entrinnen und willkürlich wurden die friedlichen Menschen stundenlang festgehalten und einzeln wie Verbrecher vernommen sowie durchsucht. Aus dieser für mich recht schockierende Erfahrung heraus, trat ich einer Telegramgruppe bei, die sich aus Menschen diverser Einkesselungen gebildet hat, um mit Rat und Tat einander zur Seite zu stehen. In dieser Gruppe lernte ich auch den Angeklagten Sebastian kennen.
Zu Bedenken gebe ich, dass das Demonstrationsrecht ein Grundrecht ist. Tatsächlich kann auch jederzeit ohne Anmeldung eine Spontandemonstration ausgerufen werden. Eine Demonstration kann nur unter bestimmten Bedingungen und Regeln als letztes Mittel durch die Polizei aufgelöst werden.¹ Falls diese nicht erfüllt sind, handelt es sich bei der Einkesslung u.a. um Freiheitsberaubung. Deshalb habe ich im Nachhinein den mir bis dato unbekannten Einsatzleiter dieser Einkesselung bei der Dienstaufsicht gemeldet und anklagt. Die Staatsanwaltschaft wird sich um den Fall kümmern, wenn sie das überhaupt tut; in Deutschland nämlich bildet die Staatsanwaltschaft keine unabhängige Instanz, vielmehr handelt es sich um weisungsgebundene Beamte des Staatsapparats. Deshalb dürfen deutsche Staatsanwaltschaften keine internationale Haftbefehle erlassen.²
Spontandemos und unangemeldete Demos traten in Schweinfurt vermehrt auf, als sich herumgesprochen hat, dass der ehemalige Demonstrationsleiter auf einem Schuldenberg von mehr als 10.000 Euro saß, weil er laut Rechtsprechung als Leiter für das Verhalten der Teilnehmer haftbar gemacht wurde. Dieser Umstand wurde medial kaum, wenn überhaupt thematisiert; umso mehr hat man sich über die unangemeldeten Demos und ihre Teilnehmer empört.
Um auf Sebastian zurückzukommen: Er hat sich in der Kesselgruppe zu Wort gemeldet, dass er jemanden für seine Verhandlung als Zuschauer sucht. Wie er mir später erzählte, ist es überaus wichtig einen zu haben, weil manchmal bestimmte Sachen, die er dem Richter oder der Richterin zu Protokoll gegeben hatte, dort nicht mehr erschienen sind und er keinen Zuschauer als Zeugen aufrufen konnte. Interessanterweise saßen im Gerichtsraum bei beiden Verhandlungen nicht nur zwei Polizisten sondern auch ein augenscheinlicher Zivilpolizist als Zuschauer mit dabei.
Doch bevor man in diesen Raum gelangt, wird man einzeln durchsucht, nachdem die Taschen gelehrt und deren Inhalte geprüft worden sind sowie man durch ein Metalldetektor-Tor gegangen ist. Beim zweiten Gerichtstermin wurden sogar diese Maßnahmen verschärft, indem die mit stichsicherer Weste wartenden Polizisten nicht hinter dem Metalldetektor-Tor auf ihren Einsatz warteten, sondern vorm Gerichtsraum sich aufbauten. Nachdem das Sicherheitsdienst das geschilderte Prozedere mit uns am Eingang durchmachte, musste man das Gleiche 10 Schritte weiter den Gang runter bei den Polizisten erneut machen: Taschen lehren, Arme strecken, mit einem handlichen Metalldetektor abtasten lassen usw.. Sicherer ist halt noch sicherer als sicher. Logisch. Ich als gelernter Gastronom und Sebastian als Mobilfunkverkäufer sind schon eine ernst zu nehmende Gefahr. Man kann ja nie wissen, nicht wahr? Ein Mitarbeiter ging gleichzeitig die Reihe ignorierend, sein Ausweis zeigend, neben mir ohne jegliche Kontrolle mit seinem Aktenkoffer (am Metalldetektor-Tor vorbei) rein. Wie gefährlich man uns einschätzte, wurde mir bei der zweiten Verhandlung klar, als ich mich langsam vom Stuhl erhob und mich vorsichtig in eine bessere Sichtposition fürs Laptop begeben wollte, auf der die Anwesenden die Beweisvideos der Polizei gesichtet hatten. Ich dachte mir nichts dabei, war so eine Spontanreaktion, wie auch wahrscheinlich von der Polizistin, die, als sie mich sah, aufsprang und mich Anschrie, dass ich mich setzen solle und zwar mit Nachdruck, dass es auf der Stelle zu geschehen hat! Ich bewegte mich langsam rückwärts zu meinem ein Meter entfernten Stuhl und meinte, dass es schon gut sei, ich verstünde das auch, wenn man es mir normal sagt. Die Richterin empfand augenscheinlich dieses Verhalten der Polizistin als unbedenklich und fuhr fort – mich aber nervte es innerlich. Aus irgendeinem Grund ging die Polizistin dann aus dem Raum und ich fragte nach, ob es normal sei, dass man hier angeschriehen wird, darauf meinte der Polizeikollege, dass es kein Anschreien sondern eine normale Anweisung gewesen sein soll. Ich beließ es dabei und dachte nur: Aha, das ist also normal hier und als sie wieder hereinkam, bedankte ich mich bei ihr für den Hinweis in dem gleichen normalen Ton, indem sie mich auf meinen „Vergehen“ hingewiesen hatte. Was sie darauf erwiderte, weiß ich nicht mehr, jedoch beendete ich das Gespräch mit einem kräftigen „Jawohlll!“. So wie es sich dort gehört. Aber das Verhalten der Polizistin nervte mich immer noch. Diese plötzlich auftretende Autorität empfand ich als ungerecht, doch was tun? Als gut integrierter Migrant mit deutschem Pass dachte ich nach, wie man diesen Missstand in der Zukunft doch recht sicher beheben kann. Antwort: Hinweisschild! Vor mir blickte ich auf die Überbleibsel einer der Coronamaßnahmen: Plastikscheiben, die den Richter und uns Zuschauer sowie Zeugen auch heute noch vor den Coronaviren schützen. Sicherer ist sicherer als sicher. Hinter dieser Scheibe, über dem Kopf der Richterin ist ein kleines Kreuz an der ansonsten blanken Wand. Dieses Kreuz war (bzw. ist wahrscheinlich immer noch) fehl am Platz dort, dachte ich, denn Jesus Christus wäre mit Sicherheit mit vielen Urteilen und Verhaltensweisen der sogenannten Rechtsprechung hier in diesem Raum nicht einverstanden, wenn er heut noch leben würde. Ich denke vielmehr, dass er eher als Angeklagter Platz nehmen würde und letztendlich verurteilt, zwar nicht aufs Kreuz genagelt wie damals, aber im Gefängnis für seine Äußerungen schmoren würde. Stattdessen sollte an der Stelle mit dicken Buchstaben Folgendes stehen: „UNERLAUBTES AUFSTEHEN STRENGSTENS VERBOTEN!“ Somit würde dann mit Sicherheit keiner mehr aufstehen und der geschilderte Umstand würde sich in Zukunft sich bestimmt nicht wiederholen. Nach dem Motto: Sicherer ist sicherer als sicher. Sicherheitshalber noch in englisch, türkisch und arabisch. Um wirklich sicher zu gehen.
Die angehörten Zeugen waren beide ebenfalls Polizisten. Am ersten Tag war es eine Kriminalbeamtin aus Schweinfurt, die nachweisen wollte, dass der Angeklagte einer der Leiter einer bestimmten unerlaubten Versammlung in Schweinfurt gewesen sein soll. Doch letztendlich ging eigentlich eine Stunde lang um Telegram. Die Richterin hatte anscheinend keine Ahnung vom Messengerdienst, dabei ist es ähnlich wie Whatsapp. Es ging hauptsächlich um Detailfragen, die sich in die Länge zogen. Zusammengefasst im Groben behauptete die Kriminalbeamtin, dass sie davon ausgeht, dass Sebastian hinter dem Pseudonym „SE“ stecke, der auf verschiedenen Kanälen zur Versammlung aufgerufen hätte und somit als Leiter bestätigen ließe. Telegram ließe sich auf seinem Handy mit einem Tool häcken und somit wäre alles ersichtlich. Auch sei er als Admin einer Widerstandsgruppe ersichtlich und nur als Admin kann man dort anonym posten, worunter sich auch um Aufrufe zur Teilnahme dieser Versammlung gehandelt haben soll. Soweit so gut. Sebastian wurde das Wort erteilt. Er behauptete, dass ihm das Handy unrechtmäßig abgenommen worden ist und somit diese nicht als Beweis geltend gemacht werden darf. Auf seine Frage hin, wieviele Admins die Widerstandsgruppe denn hätte, konnte die Kriminalbeamtin nicht antworten, obwohl sie einen dicken, prall gefüllten Aktenordner dabei hatte. Sebastian erklärte daraufhin, dass es ca. 12 Admins sind und somit die Zuordnung des Verfassers anonymer Nachrichten nicht möglich ist. Außerdem erklärte er, dass man rechtlich nicht haftbar gemacht werden kann für weitergeleitete Nachrichten, sondern nur um selbst verfasste. Die von SE gepostete Versammlungsaufrufe sind weitergeleitete Nachrichten. Die junge Richterin kannte sich anscheinend diesbezüglich nicht aus, weil sie ihn fragte, ob das denn tatsächlich so sei, woraufhin er überrascht erwiderte, dass sie als Richterin die Gesetzeslage diesbezüglich doch kennen müsse. Das war bei der ersten Verhandlung und zu meiner Verwunderung wiederholte sich diese Diskussion um die Haftung so ähnlich nochmal vor der Entscheidungsverkündung der Richterin am Ende des zweiten Verhandlungstages. Ihre Entscheidung beruhte auf ihr Glauben an die beiden Zeugen – so wie ich verstand, argumentierte sie so, weil die Gesetzeslage ihr diesen Spielraum gibt. Sebastian ist im Sinne der Anklage schuldig und soll nun 800 Euro zahlen.
Der zweite Zeuge am zweiten Verhandlungstag vor der Urteilsverkündung behauptete im Groben Folgendes: Der Polizeibeamte war vor Ort und hätte eine Gruppe mit 5 Personen gesehen, die sich wie Leiter der Versammlung verhielten, weil einige von ihnen Sprechchöre riefen und den Aufzug dirigierten. Sebastian war nicht unter den 5 Leuten. Später jedoch hätte er Sebastian mit Zweien aus der 5er-Gruppe länger sprechen gesehen, was auf ihn den Eindruck gemacht hätte, dass Sebastian einer der Leiter sei. Gehört hätte er aber nichts können, weil er zu weit weg gestanden wäre. Außerdem gab er zu, dass er nicht sah wie Sebastian Sprechchöre skandiert oder den Aufzug dirigiert hätte. Interessant fand ich die Aussage des Polizeibeamten bei der Sichtung des Videos, dass jeder sich frei bewegen konnte und jederzeit die eingekesselte Versammlung hätte verlassen können. Sebastian lachte daraufhin beherzt und meinte, dass das für ihn jetzt zu viel sei, er setze sich lieber wieder auf seinen Platz. Daraufhin ergänzte der Polizist, dass man die Versammlung jederzeit verlassen durfte, nachdem man seinen Ausweis vorgezeigt hatte. Die Argumentationstechniken der Polizisten sind meines Erachtens alles andere als vertrauenswürdig, aber das sah dann die Richterin doch wohl anders. Die geläufige Aussage „Der Angeklagte ist stets unschuldig bis seine Schuld bewiesen ist“ sah ich bei der Urteilsverkündung nicht im Geringsten vertreten.
Es ist leider so, dass ich aus der Kesselgruppe auf Telegram fast ausschließlich negative Ergebnisse in der ersten Instanz der Rechtsprechung höre. Auch Sebastian ging in die Verhandlung mit der Selbstverständlichkeit rein, dass er verurteilt wird und in der nächsten oder übernächsten Instanz erst frei gesprochen wird. Warum ist das so? Wer diesen Fall liest, muss sich doch automatisch fragen, ob das tatsächlich gerecht ist, was als Solches uns aufgetischt wird. Ich persönlich empfinde beim Verhalten dieser Entscheidungsträger und Autoritätspersonen emotional etwas Trauer und Wut gleichzeitig, rational betrachtet, sehe ich inkompetente Angestellte vor mir. Traurig bin ich, weil sie die Nächstenliebe und Menschlichkeit nach dem Vorbild Jesus Christus (und damit meine ich explizit nicht irgendeine Kircheninstitution) nicht mal ansatzweise leben. Wut erzeugt in mir die ungerechte Behandlungsweise. Ihre Inkompetenz ist, dass sie selbst nicht rational und im Zweifel für den Angeklagten sind. Sie vergessen, dass sie eines Tages selbst zu den unzufriedenen Bürgern gehören könnten, die auf dem Anklagestuhl Platz zu nehmen haben, nur weil sie demonstrieren waren oder anderweitig negativ über staatliche Maßnahmen sich geäußert hätten. Wahrscheinlich würde es bei Personen in diesen Positionen nicht dazu kommen. Diese Leute werden, wie einige Fallbeispiele zeigen, medial diskreditiert und ihres Amtes enthoben. Jaja, in Deutschland wird Meinungsfreiheit groß geschrieben, aber nur dann, wenn man andere Länder kritisiert.
Sebastian schilderte seine Teilnahme an der Versammlung grob zusammengefasst folgendermaßen: Da er einen europäischen Presseausweis besitzt, wollte er an dem besagten Tag nach Schweinfurt, um die Versammlung zu dokumentieren. Er parkte sein Auto in deren Nähe und wartete, woraufhin ca. 5-6 Polizisten gezielt auf ihn zuliefen und ihn kontrollieren wollten. Es kam zu einer Meinungsverschiedenheit, woraufhin er von denen in die Versammlung geschubst worden wäre. Die Polizisten sollen dann gesagt haben, dass sie nun das Recht hätten ihn zu kontrollieren, weil er sich in einer unerlaubten Versammlung aufhielte. Von Sebastian muss man auch wissen, dass er kein unbeschriebenes Blatt für die Polizisten war, weil er mehr als 100 Demonstrationen mit organisierte und mitunter selbst anmeldete. Auch deshalb erkannte der als Zeuge geladene Polizist den Angeklagten auf der Versammlung wieder, weil er explizit über ihn informiert worden ist. Diese Versammlung hat Sebastian nach eigenen Angaben nicht mitorganisiert, geschweige denn war er als Leiter tätig.
Nach meinen Erfahrungen ist heutzutage diese Art der Verhandlung in Deutschland in „Coronaangelegenheiten“ keine Ausnahme sondern die Regel. Viele Angeklagte halten dem Stress nicht stand und geben nach. Die Richter setzen in vielen Fällen die Strafen runter, was den Nachgiebigen natürlich entgegenkommt. Mit solchen Mitteln hat Bayern Corona-Bußgelder von mehr als 39 Millionen Euro erlassen. Schweinfurt alleine kommt auf deutlich mehr als eine halbe Million Euro.
¹ https://versammlungsrecht.org/ende-der-versammlung/
P.S.: Sehr zu empfehlen im Zusammenhang mit meiner Geschichte ist diese weiterführende und umfassendere Sicht der Geschehnisse der letzten Jahre: https://zeitenwechsel.org/2023/02/07/es-ist-faschismus/